Wie sieht unsere Landwirtschaft in 10 Jahren aus?“ – zur Diskussion dieser Frage hatten gestern Abend der Grüne Kreis Ostbelgien, Verband der hiesigen Junglandwirte, gemeinsam mit dem ostbelgischen EU-Abgeordneten Pascal Arimont (CSP-EVP) nach Eynatten eingeladen. Grund zur Debatte gab es genug: Aktuell wird auf EU-Ebene über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) diskutiert, die über die Finanzierung der europäischen Landwirtschaft ab 2020 bestimmen wird. Auch die Themen Umweltschutz und Förderung der Junglandwirte kamen zur Sprache. Mit rund 150 Gästen stieß das Diskussionsangebot auf reges Interesse.

Aktuell passiert in Brüssel die entscheidende Weichenstellung für die Agrarpolitik nach 2020. Wir müssen jetzt daran arbeiten, dass die Texte sich in die richtige Richtung entwickeln, damit wir den Berufsstand des Landwirts in unserer Region langfristig sichern“, erklärt Pascal Arimont zum Hintergrund der gemeinsamen Initiative mit dem Grünen Kreis.

[widgetkit id=“55″]

Agrarpolitik nach 2020: Landwirte wirtschaftlich sichern

Mit Tom Vandenkendelaere, belgisches Mitglied im Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments, war ein passender Ansprechpartner gefunden worden. Er gab bei einem Impulsreferat Auskunft über die aktuellen Überlegungen zur Zukunft der EU-Agrarpolitik. Zwar gebe es bereits verschiedene Reflexionspapiere der Kommission, doch erst im Juni 2018 seien erste konkrete Textvorschläge zur GAP zu erwarten, erklärte der flämische EU-Abgeordnete.

Für ihn stand im Mittelpunkt, dass zuallererst die wirtschaftlichen Probleme der Landwirte durch die Reform angepackt werden müssten. „Was nutzt es, über die Zukunft der Landwirtschaft zu diskutieren, wenn kein Landwirt übrigbleibt, der die Ideen umsetzen kann“, machte er deutlich.

Die EU-Kommission habe laut Vandenkendelaere erkannt, dass die Einkommen der Landwirte in den meisten Mitgliedstaaten unter den dortigen Durchschnittsgehältern liegen und dass Handlungsbedarf besteht, um die Attraktivität des Berufs zu wahren. Eine mögliche Lösung sei, von der Subventionierung auf Basis der Fläche wegzukommen und eine entsprechende Obergrenze einzuführen. Dadurch könnte mehr Geld für die kleinen Betriebe im Agrar-Topf vorgesehen werden. Angesichts des Brexits, der mit Einsparungen von 12 Milliarden Euro verbunden sei, sei das ein wichtiges Vorhaben. Auch müsse der „aktive Landwirt“ genauer definiert werden. Aktuell gehe noch viel Geld an Landwirte, die nur noch marginal landwirtschaftlich tätig seien. Eine Förderung der Landwirte, die tatsächlich nur von der Landwirtschaft leben, müsse für die Zukunft prioritär sein.

Auch für künftige Milchkrisen wolle man besser vorsorgen. So solle die freiwillige Milchreduzierung schneller und einfacher einberufen werden können als bislang. Was die Ökologisierung der Grünlandflächen angehe, auf die die EU in den vergangenen Jahren immer stärker gesetzt hat, seien Ergebnisse kaum messbar. Daher plädierte Vandenkendelaere dafür, die Umsetzung der ökologischen Vorgaben flexibler zu machen und auf die jeweiligen Realitäten vor Ort zuzuschneiden.

Die konkrete Frage der Betriebsnachfolge müsse ebenfalls befriedigend beantwortet werden, so das Mitglied des EU-Agrarausschusses. Die Zahlen seien klar: „Nur sechs Prozent der europäischen Landwirte sind unter 35 Jahre alt. 31 Prozent sind älter als 65“, so Vandenkendelaere. Ein Problem sei die wirtschaftliche Unsicherheit, aber auch der wachsende Druck auf die Familie und der bürokratische Aufwand bei den Investitionsbeihilfen. Angedacht sei es, hier u.a. zusätzliche Gelder über die Mittel der ländlichen Entwicklung vorzusehen.

600 ostbelgische Landwirtschaftsbetriebe

Bei der anschließenden Diskussion mit Mitgliedern des Grünen Kreises und weiteren Landwirtschaftsexperten, darunter Marc Schröder (Bauernbund), Marie-Josée Paquet (Amt für Landwirtschaft der Wallonischen Region), Jérôme Gennen (Agra-Ost) und Leo Mertes (Landwirt ohne Nachfolger), wurde nochmals gezielt auf die Themen Zukunft der GAP, Ökologisierung und Umweltschutz sowie Unterstützung der Junglandwirte eingegangen.

Marc Schröder, Agraringenieur und Berater für die deutschsprachigen Mitglieder des Bauernbundes, erklärte, dass die rund 600 landwirtschaftlichen Betriebe in Ostbelgien vor allem auf Spezialisierung im Bereich der Milchwirtschaft setzten. Hierbei handele es sich größtenteils um Familienbetriebe, die nur selten zusätzliche externe Arbeitskräfte beschäftigten. Der Altersdurchschnitt von 52 Jahren der aktiven Landwirte in Ostbelgien mache deutlich, dass die Betriebsnachfolge in den kommenden Jahren ein immer wichtigeres Thema werde. Der Milchpreis sei trotz aktueller Ruhephase immer ein Problem, da die EU den Schwankungen auf dem Weltmarkt aktuell nichts Handfestes entgegensetze. Die Volatilität der Einnahmen stelle wohl einen Grund dafür dar, dass der Beruf an Attraktivität verloren habe. Die Abschaffung der Quotenregelung hielt Schröder jedoch für richtig. Auch die Quote habe das Hofsterben seinerzeit nicht aufhalten können.

Der angehende Junglandwirt Luc Brossel bestätigte diese Einschätzung. Ein Junglandwirt müsse Investitionen tätigen können, und dies sei bei wirtschaftlicher Unsicherheit schwierig. In der Regel seien Betriebsübernahmen nur im Rahmen der Familie möglich. Ein Landwirt dürfe in punkto Gehalt nicht damit anfangen, die investierten Stunden zu zählen. Hier sei Leidenschaft für den Beruf gefragt.

Pestizide: Gülleregelung auf dem Prüfstand

Bei der Frage des Umweltschutzes und der Ökologisierung der Landwirtschaft ging es im Wesentlichen um Pestizide und den allgemeinen Landschaftsschutz.

Ein für die Landwirte wichtiges Thema war hierbei die aktuelle Regelung der Wallonischen Region zur Gülleausfuhr. Jérôme Gennen von Agra-Ost kritisierte diese als viel zu unflexibel, da die festgeschriebenen Zeiträume häufig zu einer langen Lagerung der Gülle führe, die mit vielen negativen Effekten verbunden sei. Junglandwirt Yves Dobbelstein schlug in dieselbe Kerbe und brachte sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass die Landwirte in Deutschland und Flandern an völlig andere Vorgaben gebunden seien. Dies sei für viele Landwirte paradox.

Zum Themenkomplex der Herbizide erklärte Jérôme Gennen, dass die Anbringung in Ostbelgien durch die starke Milchwirtschaft und den geringen Ackerbau sehr reduziert sei. Allerdings werde auch in Ostbelgien in bestimmten Situationen das Herbizid Glyphosat eingesetzt. In vielen Fällen, wie etwa bei der Grünlanderneuerung, gebe es hierzu für die Landwirte aufgrund der vom Gesetzgeber sehr kurz bemessenen Zeiträume wenige Alternativen.

Pascal Arimont ging in diesem Rahmen auf seine Rolle als Mitglied des Sonderausschusses Pestizide im Europäischen Parlament ein. Dieser Ausschuss sei ins Leben gerufen worden, um die Objektivität der Zulassungsverfahren von Pestiziden auf EU-Ebene zu prüfen. Diesbezüglich bestünden durch die Diskussionen um Glyphosat erhebliche Zweifel. „Es muss sichergestellt werden, dass die Studien korrekt verlaufen und nicht durch Studien der herstellenden Konzerne verfälscht werden“, so Arimont. Gefahren für Menschen, Tiere und Umwelt seien auszuschließen, das gelte nicht zuletzt für die Landwirte selbst, die den Stoffen auf den Feldern sehr direkt ausgesetzt seien. Wichtig bleibe, dass die Chemiekonzerne den Landwirten bezahlbare Alternativen zur Verfügung stellen müssten. In die Forschung sei in der Vergangenheit aber viel zu wenig investiert worden. Es sei die Aufgabe der Politik, den Druck auf die Chemiekonzerne entsprechend zu erhöhen.

In punkto Ökologisierung wies Tom Vandenkendelaere darauf hin, dass es in Belgien zwischen der Wallonie und Flandern häufig große Unterschiede gebe, was die Einschätzung bestimmter Fragen angehe. Aufgrund häufiger Uneinigkeit fehle Belgien oftmals eine Stimme im Rat der EU-Landwirtschaftsminister. Dies sei kontraproduktiv, da vor allem die kleinen Länder Interesse an einer klaren Positionierung hätten.

Landwirtschaft und Landschaftsschutz

Junglandwirt Yves Dobbelstein ging des Weiteren auf die Bedeutung der Landwirtschaft für den Landschaftsschutz ein. Heckenpflege oder „späte Mahd“ seien Elemente, die zum Erhalt der Natur in Ostbelgien erheblich beitragen. Jérôme Gennen bestätigte, dass die hiesigen Landschaften durch die Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaften seien und es in Ostbelgien sehr viele Flächen mit hohem ökologischen Wert gebe.

Einig waren sich die Landwirte darin, dass ihnen durch die Ökologisierung nicht weitere bürokratische Aufgaben übertragen werden sollten. Generell wünschte man sich mehr Zeit für die eigentliche Arbeit und weniger Zeit im Büro – auch wenn es verständlich sei, dass Nachweise gefordert werden.

Wer übernimmt den Hof?

Der letzte Themenblock des Abends betraf die gezielte Förderung der Junglandwirte und die Hofübernahme. Mit Leo Mertes kam in diesem Rahmen ein Landwirt zu Wort, der aktuell noch auf der Suche nach einem Nachfolger ist. Bislang habe sich nichts Passendes ergeben, jedoch wolle er sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Was die Zukunft angehe, betonte er, dass die Spezifizierung, etwa auf die Milchwirtschaft, weiter das Maß aller Dinge in Ostbelgien bleiben werde. Die oftmals gepriesene Diversifizierung, also das Setzen auf mehrere Standbeine, halte er für einen Trugschluss.

Geld und finanzielle Unterstützung alleine bringen keine Lösung – so der Tenor in der Runde. Die Rentabilität des Betriebs sei wichtig, allerdings sei auch der soziale Aspekt für eine Übernahme von Bedeutung. Zudem müsse der Junglandwirt gut auf eine Übernahme vorbereitet sein. Marc Schröder zog den Vergleich, dass heutzutage kein 18-jähriger einen kleinen oder mittleren Betrieb einfach so übernehmen könne. Der Landwirt sei in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zum echten Unternehmer geworden. Die Ausbildungsarbeit des Grünen Kreises sei hierfür vorbildlich.

Positives Image wichtig für Bauernstand

Junglandwirt Yves Dobbelstein stellte die positiven Seiten hervor, die die Landwirtschaft mit sich bringe, so etwa der Kontakt zur Natur oder der Vorteil, keine klassischen Bürozeiten beachten zu müssen. Auch hier fiel erneut der Begriff der „Leidenschaft“. Der Grüne Kreis hat es sich zur Aufgabe gemacht, die positiven Aspekte der Landwirtschaft viel stärker in den Vordergrund zu rücken, da das Bild des „jammernden Landwirten“ in den Medien dem Berufsstand nicht gerecht werde.

Bei einer Fragerunde durch das Publikum konnten die diskutierten Themen weiter vertieft werden.

Als Fazit des Abends zog Gastgeber Pascal Arimont, dass das Modell des kleinen und mittleren familiären Betriebs durch die zukünftige GAP geschützt werden müsse. Er warb bei den Landwirten dafür, sich in der aktuell entscheidenden Phase der Diskussionen immer wieder einzubringen, und die Mitglieder des Parlaments und Rates verstärkt auf ihre Forderungen hinzuweisen.