Unsere Europäische Union ist in keinem guten Zustand“, erklärte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heute in seiner Rede zur Lage der EU in Straßburg. Damit kritisiert Juncker das Verhalten einiger Mitgliedstaaten, die sich trotz der aktuellen Flüchtlingskrise einer europäischen Kooperation und Koordination verschließen. Juncker plädierte u.a. erneut für ein europäisches Quotensystem, das eine faire Aufteilung der Flüchtlingsströme innerhalb Europas ermöglicht. Diese Forderung unterstützt auch der ostbelgische Europaabgeordnete Pascal Arimont (CSP-EVP).

Juncker hat heute alles andere als eine Sonntagsrede gehalten. Er konfrontierte die Mitgliedstaaten mit handfesten Maßnahmen und Gesetzesvorschlägen. Der Ball liegt nun im Spielfeld der europäischen Regierungschefs. Die Zeit der Sonntagsreden ist vorbei. Angesichts der Herausforderungen ist ein entschlossenes, gemeinsames Handeln dringend nötig. Die Hinhaltetaktik vieler Mitgliedstaaten ist nicht akzeptabel“, erklärt Arimont.

Angesichts der Flüchtlingskrise ist die Forderung nach einer Blockade aller Grenzen genauso ein Irrweg wie die komplette Öffnung. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, müssen wir aufnehmen und schützen. Europa kann aber nicht alle Menschen aufnehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen aus allen Teilen der Welt zu uns kommen. Das würde unser europäisches Sozialmodell, wie wir es jetzt kennen, nicht verkraften. Wir brauchen also eine ausgewogene Lösung zwischen Solidarität und Verantwortung„, erklärt Arimont. „Wir brauchen ein Quotensystem zur besseren Aufteilung und Aufnahme der Ströme an Schutzsuchenden in Europa. Darüber hinaus brauchen wir gemeinsame europäische Grundregeln, was die Aufnahme von Schutzsuchenden und die reguläre Migration von Wirtschaftsflüchtlingen angeht. Dadurch kann Einwanderung besser gesteuert und Schutzsuchenden in Not besser geholfen werden. Die Kommission hat den Mitgliedstaaten heute erneut eine Reihe sinnvoller Maßnahmen vorgelegt. Jetzt sind die Mitgliedstaaten am Zug„, so Arimont zu den Vorschlägen der EU-Kommission.

Folgende Entscheidungen und Forderungen stellte Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union bezüglich der Migrationskrise vor:

Notfall-Umverteilung von Flüchtlingen: Kommissionspräsident Juncker plädierte für eine Notfall-Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen, die sich aktuell in Italien, Griechenland und Ungarn befinden. Die Kommission fordert die Regierungschefs der Mitgliedstaaten dazu auf, hierzu einen Beschluss auf der außerordentlichen Tagung des Rates der Innenminister am 14. September zu fällen. Bislang hatten sich die Regierungschefs nicht auf eine gerechte Umverteilung auf die 28 Mitgliedstaaten einigen können.

Permanentes Quotensystem zur fairen Aufteilung von Flüchtlingsströmen: Die Kommission fordert eine echte europäische Flüchtlings- und Asylpolitik, in der Solidarität in Form eines permanenten Umverteilungsmechanismus verankert wird. Dadurch soll in Zukunft schneller auf Krisensituationen reagiert werden können.

Liste sicherer Herkunftsländer: Die Kommission betont, dass zwischen denjenigen unterschieden werden solle, die eindeutig internationalen Schutz benötigen und deren Asylanträge große Erfolgschancen haben, und denjenigen, die ihr Land aus anderen Gründen verlassen und die nicht unter das Asylrecht fallen. Mit Hilfe einer Liste sicherer Herkunftsländer könnten Mitgliedstaaten die Asylverfahren von Antragstellern aus Ländern, in denen das Leben als sicher gilt, beschleunigen. Das gilt beispielsweise für Länder, die nach einstimmigem Beschluss des Europäischen Rates die grundlegenden Kopenhagener Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen (Länder des Westbalkans oder die Türkei). Das kann nationalen Behörden dabei helfen, sich auf diejenigen Flüchtlinge zu konzentrieren, die wesentlich wahrscheinlicher Asyl erhalten, insbesondere jene aus Syrien. Zu den vorgeschlagenen sicheren Herkunftsländern gehören: Albanien, Bosnien-Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien und die Türkei.

Arbeit für Asylsuchende ermöglichen: Juncker betonte, dass eine gemeinsame europäische Flüchtlings- und Asylpolitik eine weitere Angleichung der Asylpolitik benötige – auch nachdem der Flüchtlingsstatus gewährt wurde. Die Mitgliedstaaten müssten ihre Unterstützungsmaßnahmen, ihre Integrations- und Eingliederungspolitik, überdenken. Juncker sprach sich u.a. ausdrücklich dafür aus, „dass Asylbewerbern erlaubt wird, zu arbeiten und Geld zu verdienen, während ihre Anträge bearbeitet werden“.

Legale Migrationswege: Juncker plädiert für sichere und kontrollierte Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa. Nur dadurch könne die Migration besser gesteuert und die illegalen Geschäfte von Menschenhändlern weniger attraktiv gemacht werden. Das von der EU initiierte „Blue-Card“-Prinzip schafft beispielsweise Bedingungen für die Zuwanderung von Fachkräften.

Rückführungssystem wirksamer gestalten: Um die Rückführungspolitik der Mitgliedstaaten wirksamer zu gestalten, hat die Kommission das Handbuch „Rückkehr/Rückführung“ sowie einen EU-Aktionsplan zur Rückführung vorgestellt. Das Handbuch enthält praktische Leitlinien für Personen, die mit der Rückführung befasst sind. Der Aktionsplan hingegen schreibt den Mitgliedstaaten unmittelbare und mittelfristige Maßnahmen hinsichtlich der freiwilligen Rückkehr vor und beinhaltet u.a. eine striktere Überwachung der Anwendung der Rückführungsrichtlinie.

Schutz der Außengrenzen: Zusätzlicher Schutz an den EU-Außengrenzen durch die neue Marineoperation „EUNAVFOR MED“ soll dazu beitragen, kriminellen Schlepperbanden das Handwerk zu legen. Auch soll die EU-Agentur Frontex – mittels Stärkung ihres Mandats – zu einer voll funktionsfähigen europäischen Grenz- und Küstenschutzbehörde ausgebaut werden.

Entschlossene Außenpolitik: Die europäische Außenpolitik muss entschlossener werden. Die Kommission betont, dass Europa Kriege und Instabilität in der Nachbarschaft nicht ignorieren und auch nicht uneins auf sie reagieren darf. Deshalb fordert die Kommission eine diplomatische Offensive, um die Krisen in Syrien und Libyen zu bewältigen.

Nothilfe-Fonds: Die Kommission schlägt vor, einen Notfallfonds einzurichten, der zunächst mit 1,8 Milliarden Euro aus gemeinsamen EU-Mitteln ausgestattet sein wird, um die Krisen in der Sahelzone und in der Tschadseeregion, am Horn von Afrika und in Nordafrika anzugehen. Der Fonds soll zu dauerhafter Stabilität beitragen, indem zum Beispiel Beschäftigungsmöglichkeiten in lokalen Gemeinschaften geschaffen werden. Er soll die grundsätzlichen Ursachen von Destabilisierung, Vertreibung und illegaler Migration beseitigen.