Ohne Grenzgänger könnte Luxemburg wirtschaftlich nicht so funktionieren wie heute“, machte Claude Wiseler, Vorsitzender der CSV-Fraktion in der Luxemburger Kammer, am Mittwochabend bei der Veranstaltung „In Luxemburg arbeiten. In Ostbelgien leben. Ein Glücksfall für alle?“ deutlich, zu der der ostbelgische EU-Abgeordnete Pascal Arimont und sein Luxemburger Kollege Georges Bach eingeladen hatten. Im Sankt Vither Triangel wohnten rund 400 Besucher – vor allem ostbelgische Grenzgänger – der Diskussion zum Standort Luxemburg bei.

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Welche Auswirkungen hat Luxemburg auf Belgien? Auf welche Probleme stoßen die Grenzgänger? Und wie sieht es eigentlich in zehn Jahren aus? – diese und weitere Fragen standen bei der Veranstaltung im Mittelpunkt.

Wachstum vs. Lebensqualität

In einem Impulsreferat führte der Luxemburger Spitzenpolitiker Claude Wiseler aus, dass das anhaltende positive Wachstum, das in Luxemburg bei vier bis fünf Prozent jährlich liegt, auch ein Problem darstellen könne. „Jedes siebte Jahr muss durch den Zuzug eine Stadt wie Luxemburg neu gebaut werden – mit allem was dazugehört“, so Wiseler. Die Politik habe in den nächsten Jahren die wichtige Aufgabe, dieses große Wachstum in die richtigen Bahnen zu lenken.

Denn mit dem Wachstum müsse auch eine bessere Lebensqualität für die Menschen einhergehen. Die Mobilitätsangebote im Bereich Straßen- und Schienenbau müssten verbessert werden, auch um die 180.000 Grenzgänger, die täglich nach Luxemburg kämen, besser zu ihren Arbeitsplätzen zu führen. Bezüglich der kommenden Jahre verfolge das Großherzogtum das Ziel einer Diversifizierung des Angebots. Aktuell seien noch rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze vom Finanzstandort abhängig. Das Image des Briefkastenstandorts werde konsequent abgebaut, auch durch entsprechende Gesetzgebungen. Mit Investitionen in Forschung und Entwicklung wolle man neue innovative Betriebe im Bausektor und der Kreislaufwirtschaft ins Land locken.

„Gesamtpaket muss stimmen“

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurden diese Punkte mit weiteren Experten vertieft – u.a. Curt Meurer (Unternehmer mit Niederlassungen in Belgien und Luxemburg), Audrey Olbertz (CSC-Gewerkschaftssekretärin, zuständig für Luxemburger Grenzgänger), Karl-Heinz Huppertz (Geschäftsführer der Firma Huppertz AG), Colin Kraft (Spitzenkandidat der CSP für die anstehenden PDG-Wahlen), Emile Eicher (Mitglied der Luxemburger Kammer und Bürgermeister der Gemeinde Clervaux) und Erwin Schröder (Geschäftsführer der THG Luxemburg).

Im Fokus standen die Probleme und Möglichkeiten der aktuell 3.900 ostbelgischen Grenzgänger, die täglich die Grenze passieren, um im Großherzogtum zu arbeiten.

Aus Arbeitnehmersicht sei Luxemburg dadurch gekennzeichnet, dass es weniger unbefristete Verträge und weniger Leiharbeit gebe, erklärte Audrey Olbertz von der CSC. Dies sei neben dem höheren Lohn ein Grund für die Attraktivität – vor allem im Bau- und Handelssektor. Aus Unternehmersicht erklärte Curt Meurer, dass der Umgang mit den Behörden in Luxemburg einfacher sei, da das Land nicht in so viele verschiedene Verwaltungsebenen aufgeteilt sei wie Belgien. Erwin Schröder von der THG Luxemburg rechnete vor, inwieweit sich die Steuerlast auf die Nettolöhne der Arbeitnehmer auswirkt und verdeutlichte daran, weshalb viele ostbelgische Betriebe für einen zweiten Standort in Luxemburg optierten.

Karl-Heinz Huppertz machte als Unternehmer mit alleinigem Standort in Belgien deutlich, dass es auch pragmatische Gründe gebe, sich nur für den Standort Ostbelgien zu entscheiden. „Diese Entscheidung habe ich nie bereut“, so Huppertz, der vor allem auf die Nähe der Arbeiter zum Arbeitsort und die sich daraus ergebende Lebensqualität einging. Bei dem Verhältnis von Luxemburg zu Ostbelgien müsse dafür gesorgt werden, dass eine Win-Win-Situation beibehalten werde. Es sei klar, dass nicht jeder in Luxemburg arbeiten könne. Er betonte zudem, dass nicht alle Lehrlinge, wie oftmals behauptet, nach der Ausbildungszeit in einen Luxemburger Betrieb wechselten. Die Treue zu den Arbeitgebern sei in Ostbelgien sehr stark gegeben. Hier müsse man immer das gesamte Paket betrachten.

Mehrsprachigkeit: Ein Trumpf geht verloren

Ebenfalls auf den Standort Ostbelgien eingehend, sprach Colin Kraft, Spitzenkandidat der CSP für die anstehenden PDG-Wahlen, vor allem den Familien- und Ausbildungsstandort DG an. Die Ausbildung in Ostbelgien, auch in den Betrieben, sei immer sehr gut gewesen, allerdings mache der durch verschiedene Erhebungen deutlich werdende Verlust der Mehrsprachigkeit Sorge für die Zukunft. „Wir konnten immer alles, besonders die Sprachen, aber das geht leider verloren. Das liegt an der aktuellen politischen Kultur und das müssen wir ändern“, so Kraft. Ein Arbeitnehmer aus Ostbelgien müsse sich frei dazu entscheiden können, Angebote und Aufträge in der Wallonie und Luxemburg annehmen zu können. Gleiches gelte für ein Studium in französischer Sprache. Dieser Standortvorteil Ostbelgiens gehe langsam verloren.

In punkto Lebensqualität ging Claude Wiseler erneut auf die Mobilität ein. Die N7 – die Fortsetzung der N62 im Luxemburger Norden – sei eine der gefürchtetsten Straßen Luxemburgs. Hier gebe es viele Gründe für weitere Investitionen in der Zukunft. Was eine potentielle Konkurrenz zwischen den Standorten Ostbelgien und Luxemburg angehe, müsse man die Situation eher als eine Symbiose betrachten. In einem vereinigten Europa müsse man über die Grenzen hinweg in gemeinsamen Räumen denken, so Wiseler. Dies sei insbesondere in Bezug auf Ostbelgien und Luxemburg der Fall.

Sozialgesetzgebung: Unkomplizierter Gang über die Grenze

Die Europapolitiker Georges Bach und Pascal Arimont betonten ihrerseits die nötigen Verbesserungen bei der Koordination der nationalen Gesetzgebungen im Bereich der Arbeitsgesetzgebung und Sozialversicherungen. Zwar habe die EU in diesem Bereich keine direkte Zuständigkeit, allerdings arbeite die EU stetig daran, die verschiedenen Systeme besser aufeinander anzupassen. „Es ist wichtig, dass das Überschreiten der Grenze in unserem Gebiet so unkompliziert wie möglich ist. Das hier bereits viel erreicht wurde, zeigt die aktuelle Entwicklung in Ostbelgien“, so Arimont. Dabei bleibe es wichtig, dass die Grenzgänger nicht benachteiligt würden, wie es aktuell in Österreich durch eine negative Anpassung des Kindergelds für Ausländer versucht wird. Solchen Plänen erteilte Wiseler eine klare Absage, da Luxemburg die Grenzgänger bewusst anziehen wolle. Arimont ging zudem auf die konkrete Bearbeitung von Probleme ein, mit denen ihn die Grenzgänger regelmäßig in seinem Büro konfrontierten, wie etwa die Anerkennung von Diplomen.

Ausgleichszahlungen an ostbelgische Gemeinden

Mit interessanten Zahlen aufwarten konnte in Bezug auf die Grenzgänger auch der Sankt Vither Finanzschöffe Herbert Grommes. Luxemburg zahle den belgischen Gemeinden einen Ausgleich für den potentiellen Steuerausfall durch die Versteuerung der Löhne in Luxemburg. Für die Gemeinde Sankt Vith stelle diese Ausgleichszahlung im Jahr rund 700.000 Euro dar – eine Summe, mit der viele Projekte umgesetzt werden könnten. Darüber hinaus sei die Beschäftigungslage in Luxemburg mit ein Grund dafür, dass die Belastung des ÖSHZ in Sankt Vith verhältnismäßig klein sei. Auch die Kaufkraft der Grenzgänger trage dazu bei, den Geschäftsstandort Sankt Vith zu stärken. Die Kooperation mit dem Nachbarstaat zahle sich somit auf mehreren Ebenen für die Gemeinde aus.

Ebenfalls angesprochen wurden die damit verbundenen möglichen negativen Seiten: ein erhöhter Immobiliendruck und hohe Landpreise. Erwin Schröder von der THG stellte dem entgegen, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten, die Luxemburg biete, viele junge Menschen in der Region hielten. Dies wirke einer Vergreisung entgegen, wie sie viele ländliche Gegenden anderswo kennen würden.

Schröder erklärte ebenfalls die Folgen der letzten Luxemburger Steuerreform. Für verheiratete Paare könne diese zwar einen punktuellen Nachteil im Vergleich zur Situation vor der Reform darstellen, insgesamt bleibe aber die Attraktivität Luxemburgs in dieser Hinsicht gewahrt.

Kooperation Ostbelgien-Luxemburg stärken

In der anschließenden Fragerunde erhielt das Publikum die Gelegenheit, verschiedene Fragen an die Experten zu richten. Hierbei stand vor allem das Thema Steuerabgaben in Belgien und die N62 im Fokus.

Gastgeber Pascal Arimont schloss in seinem Fazit damit ab, dass das Verhältnis Luxemburg-Ostbelgien nicht als Konkurrenz, sondern als Kooperationsraum in einem Europa der offenen Grenzen verstanden werden müsse. Die Situation stelle für beide Seiten eine Win-Win-Situation dar, und dies müsse durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit gesichert werden.