„Mercosur: Autos gegen Fleisch?“ – diese Frage stand bei einer Runde mit Experten zur Debatte, zu der der ostbelgische EU-Abgeordnete Pascal Arimont (CSP-EVP) am Donnerstag ins Europäische Parlament eingeladen hatte. Anlass hierzu bot der Besuch der Junglandwirte vom „Grünen Kreis Ostbelgien“ in Brüssel.

Worum ging es? Die Europäische Kommission hat im Juni mit den vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen (ähnlich wie das CETA-Abkommen mit Kanada) abgeschlossen, durch das u.a. Zölle gesenkt und Normen angepasst werden sollen. Als Beispiel können die Zölle auf Autos oder Kleider in Höhe von 35 Prozent genannt werden, die durch das Abkommen wegfallen würden. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU u.a. dazu, 180.000 Tonnen Rindfleisch aus diesen vier Ländern zusätzlich zu den bereits importierten 200.000 Tonnen zu importieren.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Abkommen bei Vertretern der Landwirtschaft sehr umstritten ist. Sie fürchten sich vor unlauterer Konkurrenz durch Dumpingprodukte aus Südamerika, die europäischen Standards nicht genügen. Auch Umweltverbände kritisieren die vor Ort praktizierte Vernichtung des Regenwaldes, die u.a. dazu dient, Flächen für den Anbau von Tierfutter zu schaffen. „Durch eine möglichst breite Diskussion wollten wir der Frage auf den Grund gehen, welche konkreten Folgen das Abkommen für uns und unsere Region haben kann. Unsere Bauern erfüllen viele strenge Auflagen. Sie dürfen durch die unlautere Konkurrenz aus Ländern, die diese Auflagen nicht kennen, nicht geschwächt werden. Die Befürchtungen der Junglandwirte wollen wir hier zum Ausdruck bringen, schließlich geht es um ihre Zukunft. Außerdem müssen Freihandelsabkommen mit den europäischen Zielen im Bereich des Klima- und Umweltschutzes vereinbar sein“, erklärte Gastgeber Arimont zum Hintergrund der Debatte.

Dabei konnten namhafte Experten ihre Standpunkte darbringen. Zu ihnen gehörte Pieter Verhelst (belgischer „Boerenbond“), Jorgo Riss (Direktor Greenpeace EU), Andreas Thurner (Landwirtschaftskammer Österreich), Eleonora Catella (europäische Handelskammer „BusinessEurope“), Christophe Hansen und Sven Simon (Mitglieder des Europäischen Parlaments im Ausschuss für Internationalen Handel). Ebenfalls an der Debatte teil nahmen die ostbelgischen Mitglieder des Parlaments der Wallonischen Region Anne Kelleter (Ecolo) und Christine Mauel (PFF-MR). Der Europaabgeordnete hatte sämtliche Abgeordnete des PDG sowie die Regional- und Föderalabgeordneten zu der Expertenrunde eingeladen.

Die anwesenden Landwirte brachten zum Ausdruck, dass die Landwirtschaft nicht dafür geopfert werden dürfe, eine Öffnung u.a. des Mercosur-Automobilmarktes zu erreichen. Ganz in diesem Sinne wertete Pieter Verhelst (Boerenbond) das Abkommen als „unausgeglichen“, da die negativen Folgen für die hiesigen Landwirte nicht durch die von der EU-Kommission zugesagte Hilfe von einer Milliarde Euro wettzumachen seien. Jorgo Riss von Greenpeace kritisierte unzureichende Sicherungsklauseln im Vertrag – etwa was die Garantie von Umweltschutzvorgaben angehe. Die Mercosur-Staaten seien in Bezug auf die Landwirtschaft kein Partner auf Augenhöhe und die europäische Landwirtschaft lediglich „Verhandlungsmasse“. Er sah vor allem große südamerikanische Landwirtschaftsbetriebe auf der Gewinnerseite, was zu einer weiteren Verarmung der kleinen Landwirte und der Biodiversität vor Ort führen werde. Er warnte vor den „grünen Wüsten“ riesiger Sojafelder, in denen kein Vogel mehr singe.

Eleonora Catella vom europäischen Arbeitgeberverband „BusinessEurope“ bewertete das Abkommen hingegen sehr positiv. Bei der Beurteilung dürfe nicht nur ein Sektor betrachtet werden, denn für viele kleine Betriebe bringe das Abkommen enorme Kosteneinsparungen durch den Wegfall der Zölle und Vereinfachungen, was z.B. die Einfuhr von Waren in die Mercosur-Staaten angehe. Für Belgien seien die Mercosur-Staaten der achtwichtigste Handelspartner und daher auch viele KMU von dem Abkommen betroffen. Für landwirtschaftliche Produkte und die betroffenen Sektoren gebe es Ausgleichszahlungen und einen Schutz der geographischen Angaben. Wichtig bleibe eine effektive Kontrolle bei der Einfuhr, um europäische Standards nicht zu gefährden.

Mit Andreas Thurner vom Landwirtschaftsverband Österreich war der Vertreter eines Landes anwesend, in dem die Bauernproteste bereits Spuren im dortigen Parlament hinterlassen hatten. „Das österreichische Parlament hat der EU-Kommission vor das Schienbein getreten“, so Thurner. Der österreichische Nationalrat hatte sich im September in einer Resolution dafür ausgesprochen, das Abkommen nicht zu unterstützen. Da es sich bei dem Mercosur-Abkommen um ein so genanntes „gemischtes Abkommen“ handelt, stünden der Ratifizierung noch viele Hindernisse im Wege – ähnlich wie bei dem CETA-Abkommen im Jahr 2017 in der Wallonie. Aus Sicht Thurners handelt es sich nicht um ein ausgewogenes Abkommen, da der erwartete Import landwirtschaftlicher Exporte aus Südamerika nach Europa (22 Milliarden Euro) in klarem Missverhältnis zu dem Export (2,5 Milliarden Euro) stehe. „Es wird mehr Rindfleisch, Zucker, Ethanol zu viel günstigeren Preisen zur EU kommen. Dabei stehen unsere Landwirte heute schon unter enormem Druck“, erklärte Thurner in Hinblick auf die unsicheren Verhandlungen zur zukünftigen Gemeinsamen Agrarpolitik oder dem Brexit-Austritt. „Die Chancen im Wein oder Milchbereich wiegen die Risiken im Fleisch-, Geflügel-, Zucker- und Ethanol-Bereich nicht auf“.

Der deutsche Abgeordnete Sven Simon verwies auf die Möglichkeit und Chance, europäische Standards durch solche Abkommen in andere Kontinente und Wirtschaftsblöcke zu exportieren, was bei abnehmender Wirtschaftskraft Europas und zunehmendem Protektionismus à la Trump immer schwieriger werde. Der Luxemburger Abgeordnete Christophe Hansen erklärte, dass das Abkommen im Europäischen Parlament voraussichtlich erst in rund einem Jahr besprochen werden könne. „Dann kommt es darauf an, die Ergebnisse kritisch zu diskutieren“, so Hansen. Bei der gesamten Diskussion sei zu beachten, dass der Fleischkonsum in Europa rückgängig sei, und die europäischen Landwirte für ihre Produkte auch Absatzmärkte in Nicht-EU-Staaten brauchten. In Bezug auf die Umweltpolitik kenne die EU die strengsten Vorgaben der Welt, und die importierten Waren müssten diesen Standards entsprechen. Hier bestehe jedoch noch oftmals das Problem der Kontrollen, die strenger und effizienter vollzogen werden müssten. Was die Einflussmöglichkeit auf den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro angehe, warf Hansen die Frage auf, ob das Abkommen diesen tatsächlich dazu bewegen könne, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten. Dieses sehe u.a. eine Anpflanzung von zwölf Millionen Hektar Regenwald in Brasilien vor. Dies müsse von der EU auch für die Beurteilung des Mercosur-Abkommens streng überwacht werden. Aus all diesen Gründen sah auch Hansen noch viele Hindernisse für das Zustandekommen des Abkommens.

Die Regionalabgeordnete Anne Kelleter machte nach der Debatte deutlich: „Die Landwirtschaft in der Wallonischen Region wäre durch das Abkommen stark betroffen, da es hier vor allem Milch- und Rinderzuchtbetriebe gibt. Für Ecolo ist es nicht annehmbar, dass der Druck auf die Landwirte weiter steigt. Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen senken wollen, ist es für Ecolo unumgänglich, die Landwirte und die Nahrungsmittelproduktion hier vor Ort zu stärken.“ Auch Christine Mauel führte hierzu aus: „Ich bin selber in einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen und schätze die Qualität der lokalen Produkte. Ich finde es besonders wichtig, dass die lokale Produktion unserer regionalen Landwirte öffentlich gefördert wird, sei es durch die Vermarktung über öffentliche Auftragsvergabe oder durch positive Werbemaßnahmen sowie die Aktionen der Wallonischen Region – Apaq-W oder Agence wallonne pour la promotion de l’agriculture de qualité. Es ist wichtig, diese Diskussionsrunde zu führen, um politische Sachverhalte dieser Art in einem mehrdimensionalen Blickwinkel zu betrachten. Als Lokalpolitikerin ist es allerdings meine Aufgabe, die Interessen der Region über internationale Handelsabkommen zu stellen. Der Grüne Kreis sowie der Bauernbund können mit meiner Unterstützung im wallonischen Parlament rechnen“.

„Die Landwirtschaft hat ein Imageproblem. Daran sind aber nicht unsere Landwirte schuld, sondern das intensive Landwirtschaftsmodell, das ganze Landstriche durch Abholzung und unter massivem Einsatz von Pestiziden in Monokultur-Wüsten verwandelt. Genau dieses Modell würde von dem Abkommen profitieren. Wir müssen uns als Europäer also grundsätzlich die Frage stellen, ob wir diese Produkte wirklich importieren wollen“, so Anne Kelleter weiter.

Pascal Arimont resümierte zu Ende, dass „die Zeit genutzt werden muss, die Bedenken und Ängste der Landwirte in die Parlamente zu tragen und beispielsweise eine Ausnahme der Landwirtschaft zu erreichen. Diese Debatte muss jetzt geschehen, bevor der finalisierte Text zum Europäischen Parlament kommt. Um unsere Landwirtschaft und unsere familiären Betriebe zu schützen, müssen wir deutlich machen, dass sie keine bloße Verhandlungsmasse darstellen dürfen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen solche Abkommen, aber sie dürfen nicht immer zu Lasten der Landwirte gehen, die es schon schwer genug haben“.